Als ich vor 20 Jahren die Schriften C.G. Jungs für mich entdeckte, war ich dermassen fasziniert davon, dass ich begann, seine Bücher förmlich aufzusaugen, obwohl sie zum Teil schwer zugänglich waren, ob seines Schreibstils. Intuitiv wusste ich um die darunter verborgenen Wahrheiten, vor allem die vom Unbewussten, von wirksamen Kräften in uns, die sich unser Kontrolle entziehen, denen wir mehr oder weniger ausgeliefert sind. Einiges davon durfte ich in den folgenden Jahren wieder verwerfen, aber das Gerüst blieb und war mir auf meinem Weg der Selbsterkenntnis sehr hilfreich. Ich konnte mit der Zeit das meiste nicht nur intellektuell verstehen, sondern auch am eigenen Leib und Psyche erfahren.
Das, was ich gelernt habe, ist, dass das Leben uns ununterbrochen Wachstumseinladungen schickt. Immer wieder. Solange, bis wir uns unseren Wunden angenommen, sie transformiert und geheilt haben. So „versorge“ ich heute noch liebevoll meine Mutterwunde, durfte mich meiner Scham, meiner Trauer, meiner Wut, meinem Hochmut stellen.
Auf Grund meiner Mutterwunde, meiner vereinnahmenden, dominanten, manipulativen und kontrollierenden Mutter tat ich mich schwer Grenzen wahrzunehmen, sie zu äussern, klare Standpunkte einzunehmen und sie zu kommunizieren, weil im Hinterkopf (im wahrsten Sinne des Wortes) immer die Angst vor den Giftpfeilen der Mutter da war. Weil ich ständig in dieser Abwehrhaltung gegenüber meiner Mutter war, die diese ungesunde, toxische weibliche Energie verkörperte, zog ich dementsprechend Frauen in mein Leben, die mir das spiegelten. Sie forderten mich auf, unbewusst wohlgemerkt, endlich mal standhaft zu sein, Eier zu zeigen, denn die hatte ich nicht. Ich wurde von meiner Mutter kastriert, psychologisch. Meistens ergriff ich einfach die Flucht und kümmerte mich nicht um die Konsequenzen. Ich war nicht Mann genug, nicht klar genug, nicht standhaft genug, nicht ehrlich genug. Ich wandelte so von einer Frau zu anderen, traumatisierte, Borderliner, Vaterkomplexe, Hass auf die Mutter, alles war dabei, um mir den Spiegel zu zeigen und meine Wunde zu entblößen, damit ich sie umarme, samt der immensen Wut auf meine Mutter. Und irgendwann, nach meiner letzten Beziehung habe ich das getan. Diese und andere wunderbare Frauen haben mir auf diesem Weg geholfen. Aber gehen musste ich ihn selbst. Jetzt habe ich diese Angst nicht mehr, vor der Reaktion der Frau und im Hinterkopf meiner Mutter. Ich gehe meinen Weg, bleibe ihm treu, bin bei mir und stehe zu mir. Ich treffe Entscheidungen, stehe zu meinen Gefühlen und kann beides kommunizieren.
Ich habe gelernt, mich meinen Ängsten zu stellen und in die Selbstverantwortung zu gehen. Ich habe gelernt, dass man jederzeit sein Drehbuch umschreiben kann. Egal, wie widerlich unsere Lebensumstände sind, wie dysfunktional unsere Herkunftsfamilie auch ist, wieviel Gewalt, Missbrauch und Trauma wir auch erfahren haben, wir haben es selbst in der Hand, unser Leben zu gestalten, indem wir aus der Opferrolle und Fremdbestimmung aussteigen und in die Selbstverantwortung und Selbstermächtigung gehen. Ich konnte es und du kannst es auch. Auf diesem Weg haben mich viele Menschen begleitet, manche tun es immer noch. Ich habe diverse Ausbildungen gemacht und begleite seit 2015 Menschen, die willens sind ihr Drehbuch umzuschreiben und die Wachstumseinladungen des Lebens anzunehmen. Denn „wir begleiten uns alle nach Hause (Ram Dass).